Hanna Gronemann, angehende Textilunternehmerin

Sie war eine rational handelnde Frau mit zunächst klarer Perspektive. Hanna Gronemann wurde am 17.10.1912 in Berlin-Prenzlauer Berg als Tochter des jüdischen Textilunternehmers Max Gronemann (geb. 17.06.1886 in Groß Dallenthin bei Köslin, heute Polen, verst. 18.05.1965 in Neustadt an der Weinstraße) und seiner Ehefrau Selma geb. Tuchler (geb. 10.09.1888 in Berlin, verst. 19.07.1956 in Buenos Aires) geboren. Die Familie wohnte in der Prenzlauer Allee 47. Hanna besuchte das Königstädtische Oberlyceum für Mädchen in der Greifswalder Straße 24/25, bestand dort 1928 das Einjährige und ging dann ein Jahr auf die Handelsschule in der Niederwallstraße in Berlin-Mitte. 1929 trat sie in die Firma ihres Vaters ein, die seit 1928 als Textilwaren-Großhandel Export in das Handelsregister eingetragen war. Sie hatte ihren Sitz im Textilviertel in Berlin-Mitte mit den Adressen Kaiser-Wilhelm-Straße 3 (heute Karl-Liebknecht-Straße) und 1935 Neuer Markt 16/Ecke Bischofstraße. 1932 erweiterte Max Gronemann sein Geschäftsangebot. Zusammen mit seinem neuen Gesellschafter Willy Sydower übernahm er bis 1936 die Firma Berliner Schürzen-Jupons-Fabrikation von Walter Fuß und verdiente gutes Geld. Standesgemäß konnte die Familie nach Berlin-Wilmersdorf umziehen. Sie wohnten Pariser Straße 30.

Lutherdenkmal

Lutherdenkmal vor der St. Marienkirche, am Neuen Markt in Berlin-Mitte, im Hintergrund das Rote Rathaus. Foto 1912 von unbekannt. Auf der rechten Seite der Firmensitz von Max Gronemann, Neuer Markt 16/Ecke Bischofstraße. Das Gebäude entstand 1903. Landesarchiv Berlin; LAB F Rep. 290 (02), Nr. II 273 Martin-Luther Denkmal Neuer Markt Mitte, Foto 1912

Hanna Gonemann lernte den Beruf der Unternehmerin von der Pike auf. Sie wurde die Assistentin ihres Vaters und ging mit ihm auf Geschäftsreisen, u.a. in die Textilstadt Chemnitz. Sie lebte völlig integriert und verlobte sich mit Herrn Koninski. Mit dreißig Jahren, 1942, sollte sie als einzige Erbin Teilinhaberin der Firma zu 40 % werden.

Doch es kam anders. Als sie zwanzig war und erwachsen, entdeckte Hanna Gronemann die Frauen und das eigene Leben für sich. Sie löste die Verlobung und ging mit den jungen Frauen Growald und Löwenheim aus. Die ausschweifende Berliner Lesbenszene bot dafür viel Gelegenheit. Dort lernte sie Senta Markstein kennen, mit der sie eng befreundet war. Sie machte kleine Reisen, ohne sich bei den Eltern abzumelden, wohnte zeitweise bei Familie Kohn. Im Oktober 1933, als sie mündig war, fuhr Hanna Gronemann nach Paris, um sich dort in der Modebranche umzusehen. Verabredet auf der Herbst-Modewoche war sie mit der Tochter des Textilunternehmers Willi Schapira. Seine Tuchhandlung Schapira und Kohn in der Kaiser-Wilhelm-Straße 4 hatte enge Geschäftsbeziehungen zu Gronemanns.

Es war eine „Ausbildungsreise“, wie Hanna Gronemann später aussagte. Dachte sie damals schon, klug wie sie war, an das Exil aus Nazi-Deutschland? Die Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933 hatte ein sichtbares Zeichen gesetzt für den Beginn der Judenverfolgung unter Hitler.

Allerdings verfügte Hanna Gronemann für ihr eigenständiges, vielleicht ausschweifendes Leben und die aufkeimenden Zukunftspläne nicht über die erforderlichen Finanzen. Sie bekam für ihre Arbeit in der Firma kein Gehalt, sondern nur 50 RM Taschengeld. Deshalb musste sie sich überall Geld borgen. Für ihre Paris-Reise bat sie den Geschäftspartner ihres Vaters, Willy Sydower, um 100 RM. Das war die Grenzüberschreitung, die Sydower leider nicht für sich behielt.

Die Eltern konnten keinerlei Verständnis für das Handeln ihrer Tochter Hanna aufbringen. Die Mutter bekam Schreikrämpfe, hatte einen Nervenzusammenbruch. Der Vater geriet 1933 in eine tiefe Lebenskrise, die er der Tochter anlastete. Er warf sie aus der Wohnung, versagte ihr das Unterhaltsgeld. Hanna antwortete 1934 mit einer Unterhaltsklage, die sie gewann. Im Januar 1935 fuhr sie nach London, um dort ihre beruflichen Möglichkeiten auszuloten.

Max Gronemann schlug zurück. Er beantragte am 24.04.1935 beim Amtsgericht Charlottenburg die Entmündigung seiner Tochter. „Verschwendungssucht“ war die Begründung, der von ihm geschilderte intime Umgang mit Frauen vielleicht der eigentliche Grund. „Lesbisch“ hätte er als traditionell denkender Mann und Mitglied der Jüdischen Gemeinde wohl nie ausgesprochen.

Mitteilung an das Amtsgericht Mitte

Max Gronemann und Willy Sydower: Mitteilung an das Amtsgericht Mitte vom 11.01.1939, dass die Firma Max Gronemann Textilwaren-Großhandel mit dem Sitz Berlin C2, Neuer Markt 16, erloschen ist. Landesarchiv Berlin- LAB A Rep. 342-02, Nr. 47286 Handelsregister Max Gronemann

Amtsgerichtsrat Merten lehnte den Antrag auf Entmündigung ab. Angesichts der Einnahmen des Textilunternehmens von 24.000 RM im Jahr wurden die Ausgaben von Hanna Gronemann als Mitarbeiterin und spätere Erbin vom Amtsgericht Charlottenburg als geringfügig eingeschätzt. Auch von Vormundschaft und Nervenklinik könne nicht die Rede sein, denn die Antragsgegnerin habe äußerst klug gehandelt, als sie ihren Vater auf Unterhalt verklagte.

Max Gronemann zog den Antrag auf Entmündigung zurück. Hanna Gronemanns Anwalt, Graf zu Castell-Rüdenhausen, konnte für seine Mandantin sogar ein Unterhaltsgeld von 250 RM im Monat durchsetzen. Diese Summe gab Hanna Gronemann nach dem Krieg im Entschädigungsamt als ihr letztes Gehalt vor ihrer Ausreise nach England an.

Trotz des Bruchs im Vertrauensverhältnis zu ihren Eltern arbeitete Hanna Gronemann bis Ende 1937 in der Firma. Dann zog sie endgültig zu Hause aus, wohnte in Berlin-Charlottenburg, Wilmersdorfer Straße 95, am Kurfürstendamm. In dem Lichtspieltheater Regina im Haus konnte sie leicht ihre Freundinnen treffen, ohne von den Nachbarinnen denunziert zu werden. Manche ihrer Liebsten waren allerdings schon im Ausland, geflüchtet vor Hitler.

Max Gronemann als jüdischer Unternehmer wurde zur Geschäftsaufgabe gezwungen. Die Firma wurde Ende 1938 im Handelsregister gelöscht. Das verbliebene Vermögen zahlte Max Gronemann für die Abgaben, die den Juden im NS-Staat auferlegt waren (Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe, Auswandererabgabe an die Jüdische Gemeinde, etc.). Zum Weggang aus Deutschland entschloss sich das Ehepaar aber erst im Januar 1940, als sie von einem SS-Mann bedroht und aus der Wohnung vertrieben worden waren. Da sie kein belgisches Einreisevisum bekamen, ließen sie sich bei Eis und Schnee zu Fuß über die Grenze nach Belgien bringen, waren nach dem Einmarsch der Deutschen auch dort der Judenverfolgung ausgesetzt, haben aber überlebt. Nach 1945 wanderten sie zu einem Verwandten nach Argentinien aus. Nach dem Tod seiner Frau Selma kehrte Max Gronemann nach Deutschland zurück.

Hanna Gronemann ging ihren eigenen Weg. In ihrem Lebenslauf zum Antrag auf Entschädigung vom 15.4.1959 schreibt sie:

„Jedoch musste ich im Jahre 1937 (Vermerk September E7 Rs) meine Arbeit und Zukunftsaussichten wegen der Naziverfolgung aufgeben. Ich begann dann, mich für meine Auswanderung vorzubereiten. Ich war Krankenpflegerin bis Dezember 1938 und zu Beginn des Jahres 1939 nahm ich einen Kurs für Maniküre und Schönheitspflege bei Dr. Elfriede Ehrenreich, Berlin W, Kurfürstendamm, auf.

Am 2. Juni 1939 wanderte ich als ungelernte Krankenpflegerin nach England aus und verblieb in dieser Position bis zum Juli 1940. Dann mietete ich ein möbliertes Zimmer und verdiente die Miete dafür durch Hausarbeit und meine Verpflegung durch einige Maniküren, die ich nachmittags geben konnte. Im Dezember 1940 erhielt ich die Erlaubnis, als Fabrikarbeiterin tätig zu sein und kam dieser Arbeit bis März 1942 nach.

Von diesem Zeitpunkt ab bis zum heutigen Datum habe ich meinen Unterhalt als Büro-Angestellte verdient.“

Hanna Gronemann änderte 1948 ihren Namen in Hanna Dorothy Gee. Sie wurde britische Staatsbürgerin. Eine Versöhnung mit ihren Eltern hat es nicht gegeben. Hanna Dorothy Gee blieb unverheiratet. Sie starb am 21.8.1992 in London.

Text: Carola Gerlach

Quellen

LAB A Rep. 342, Nr. 6903 37 E 37/35 Verfahren Entmündigung Hanna Gronemann
LAB A Rep. 342-02, Nr. 47286 Handelsregister Max Gronemann
LAB A Rep. 342-02, Nr. 21221, 61 HRA 94406 Handelsregister Walter Fuß/Sydower
LAB A Rep. 342-02, Nr. 39787, 90 HRA 52199 Handelsregister Willi Schapira, Willi Kohn
LAB B Rep. 025-02, Nr. 1837/55, Nr. 1838/55, Nr. 1839/55 WGA Max Gronemann
Entschädigungsamt Berlin, Registernummer 328239 Hanna Gee, früher Gronemann
Entschädigungsamt Berlin, Registernummer 52892 Max Gronemann
Entschädigungsamt Berlin, Registernummer 259530 Selma Gronemann